Der folgende Text ist ein Auszug aus dem Anfang des ersten Kapitel meines Romans "Gefahr aus
einer anderen Welt":
Kapitel 1: SAMSTAG, 11. APRIL 2009
Es ist Zeit für Whistas!
Klaus Brauner las die E-Mail im Intercityexpress, auf dem Weg von Hamburg nach Berlin, kurz vor Wittenberge, dem größten Ort in der Prignitz in Brandenburg. Wie immer
hatte er sein Notebook dabei so auf den wie üblich zu kurzen Klapptisch in diesen Zügen drapiert, dass er so halberlei sicher stand und nicht hinunter fallen konnte, wenn er die Tastatur bediente.
Ein Umstand, der ihn schon seit Jahren ärgerte, an deren Veränderung zum Positiven er aber aufgehört hatte zu glauben. Die Beharrlichkeit der Deutschen Bahn gegenüber Veränderungen gleich welcher
Art, war legendär. Die Nachricht auf dem Laptop war von bestürzender Schlichtheit: „Es ist Zeit für Whistas!“ stand in lächerlich-altmodischer Courier-Schrift auf dem Klappmonitor seines Laptops.
Eine Zeile nur, aber für ihn eine Zeile mit Brisanz, die ihn erschauern ließ. Whistas! Er fuhr herum, musterte die Mitreisenden hinter ihm. Konnte jemand die Nachricht mitlesen? Entwarnung! Hinter
ihm las einzig eine brünette Schönheit konzentriert in einem verdammt dicken Taschenbuch. Heinz Günther Konsalik, schnaubte er, nachdem er verächtlich den Namen des Autors gelesen hatte. Er verzog
den Mund zu einem spöttischen Lächeln. Definitiv unter seinem Niveau. Er wandte den Kopf wieder nach vorne und stierte auf den Einzeiler auf seinem Laptopmonitor. „Es ist Zeit für Whistas!“ Unter
anderen Umständen hätte er vielleicht versucht, mit der Brünetten ins Gespräch zu kommen, einfach so, ohne den Ballast von Hintergedanken jeglicher Art. Denn Klaus Brauner war fremden Menschen
gegenüber stets sehr offen und aufgeschlossen. Auf Parties war er immer von einer Traube Menschen umringt, die er mit seiner lockeren humorvollen Art fesselte. Jedenfalls dann, wenn er einfach nur
normale Konversation übte, wenn er mal nicht versuchte, seine Zuhörer in die Geheimnisse der Quantenphysik zu entführen und ihnen diese faszinierende Welt der winzigen Teilchen, der Photonen,
Elektronen, Bosonen und Mesonen, der Qbits und der Spins zu erklären. Aber das war auch kein Wunder, denn Klaus Brauner sah gut aus, war sehr eloquent und elegant, sehr höflich und zuvorkommend und
hatte vor allem jenes Talent, das vielen Wissenschaftlern gänzlich fehlt: Er konnte zuhören. Und so verschaffte er seinen jeweiligen Gesprächspartnern stets das befriedigende Gefühl, dass er sich für
sie interessierte, für ihre Geschichten, für ihre Belange, ihre Sicht auf die Dinge und auf die ganze Welt. Klaus Brauner hatte es mit dieser Gabe geschafft, sich einen großen Freundeskreis zu
schaffen. Der Speicher seines Mobiltelephons umfasste zwar 100 Einträge, war aber schon lange voll, so dass Klaus Brauner zusätzlich noch ein kleines Büchlein mit Namen und Telephonnummern seiner
vielen Freunde und Bekannten bei sich trug.
Er war mit seinen 42 Jahren körperlich immer noch ziemlich fit. Das war allerdings kein Geschenk der Natur, denn er tat auch einiges für seinen Körper: Er
joggte mindestens drei mal in der Woche eine halbe Stunde im Spreebogen, zusätzlich trainierte er - allerdings deutlich weniger - im Kraftraum eines Fitness-Studios. Ihm war klar: Ein
Universitätsprofessor, noch dazu ein Professor der Physik, musste etwas für seine körperliche Fitness tun. Ansonsten würde er unweigerlich mit 50 Jahren mit Bauchansatz, krummen Rücken,
Flaschenboden-Brille und Halbglatze herumstolpern. Gut. Gegen die Halbglatze half kein Kraftraum und auch die Flaschenboden-Brille würde schwerlich durch joggen zu verhindern sein. Das war ihm
einerseits klar. Aber er setzte andererseits darauf, dass ein halbwegs durchtrainierter Mann seine Haarpracht behielt, wenigstens bis Mitte 50. Er war halt Physiker, kein Biologe. Sonst wäre ihm wohl
der totale Unsinn solcher Gedankenspiele klar gewesen. Kurz: Klaus Brauner stand in der Blüte seines Lebens und war sehr zufrieden mit seinem Privatleben, mit seiner beruflichen Position und seiner
Statur: Bei einer Körpergröße von 1,82 Meter brachte er - nackt - knappe 80 Kilo auf die Waage. Klar, dass er sehr zufrieden mit seiner Statur war.
Während draußen die historische Landschaft der Prignitz am Fenster des ICE vorbeiraste, blickte Brauner wieder auf sein Notebook und betrachtete nachdenklich
die fünf Worte. „Es ist Zeit für Whistas!“ Die Schrift verschwamm und in seinem Kopf begannen die Bilder zu explodieren. Bilder vergangener Tage und Jahre. Genauer, 15 Jahre alte Bilder, in denen er
mit Michael Mannstein – seinem damaligen Forscherkollegen aus Köln – von seltsamen Wesen aus einer Parallelwelt heimgesucht worden war. Klaus Brauner blickte nachdenklich aus dem Fenster ohne die
Landschaft der Prignitz bewußt wahrzunehmen. Kein Wunder. Denn sein Kopfkino war angeknipst: Whistas! Sie hatten damals keine Chance gehabt gegen die Übermacht. Die Übermacht der Wesen aus Whistas,
einer Parallelwelt unserer Erde. Sie machten im Rahmen eines quantenphysikalischen Laborexperiments in den Fachräumen der theoretischen Physik der Universität Köln die erste Bekanntschaft mit den
seltsamen Wesen aus Whistas. Die beiden Quantenphysiker arbeiteten bereits seit Anfang März 1999 an einer so genannten Quantenfähre. Mit diesem merkwürdigen von ihnen selbst so genannten Vehikel
wollten sie Atome teleportieren. Populärer ausgedrückt: Sie wollten Entfernungen ohne jeden Zeitverlust überbrücken. Diese Technik kannte man bislang nur aus Science-Fiction-Filmen und nannte sie
dort zum Beispiel beamen. Was dort beispielsweise mit Captain Kirk und Co geschieht, wollten sie mit kleinsten atomaren Teilchen machen. Das kam damals nahe an wissenschaftlichen Irrsinn heran, denn
so etwas war 1999 allenfalls theoretisch denkbar. Praktisch war es ausgeschlossen. Klaus Brauner und Michael Mannstein wollten es trotzdem realisieren, geschuldet dem jugendlichen Übermut oder aber
maßlose Überschätzung. Klaus Brauner schüttelte den Kopf und lachte in sich hinein, während er sich an diese Sturm-und-Drang-Phase seiner wissenschaftlichen Karriere erinnerte. „Heute weiß ich es
besser“, sagte er leise. Man muss sich die Dimension verdeutlichen, um zu verstehen, dass das was mit Kirk und Spock im Film geschieht, in der Wirklichkeit, die wir kennen, niemals geschehen kann. Um
die komplette Informationen eines Menschen wie der des Captain der Enterprise zu teleportieren, würde man mit der heute vorhandenen besten Technologie etwa dreißig Milliarden Jahre benötigen. Wenn
man bedenkt, dass das bekannte Universum gerade einmal fünfzehn Milliarden Jahre alt ist, wird schnell der Unsinn derartiger Überlegungen klar. Anders ist das bei der Informationsübertragung
einzelner Teilchen, beispielsweise Atome. Das ist mit der heute verfügbaren Technologie durchaus machbar. Brauner und Mannstein waren aber 1999 insofern echte Pioniere. Denn es war im wirklichen
Leben bis 1999 noch keinem Forscherteam auf der Welt eine Teleportation von Atomen gelungen. Einzig der Quantenphysiker Anton Zeilinger hatte in einem Aufsehen erregenden Experiment an der
Universität Innsbruck im Jahre 1997 gezeigt, dass es prinzipiell möglich ist, Quantenteleportationen durchzuführen. Er hatte die Informationen eines Photons - also eines subatomaren Teilchens - über
eine Strecke von etwa einem Meter teleportiert. Brauner und Mannstein waren trotzdem davon überzeugt, dass ihnen die Teleportation von größeren Teilchen, also ganzen Atomen, gelingen würde. Denn die
theoretischen Grundlagen dafür lieferte die Quantenphysik. Und nach dieser für Laien schwer verständlichen physikalischen Theorie ist es grundsätzlich möglich, Atome zu teleportieren. Und wenn es
grundsätzlich möglich ist, Atome zu teleportieren, dann geht das auch in der Praxis, sagten sich die beiden jungen Physiker und begannen forsch zu experimentieren.
„Dreh mal die Spannung auf“, sagte Klaus Brauner gerade zu Michael Mannstein, der am Generator für den Excimerlaser stand. Es war ein besonderer Moment für die
beiden jungen Forscher. Denn diesen Excimerlaser mit der sehr hohen Energiedichte je Laserpuls, konnten sie erst jetzt, nach Wochen der mühseligen optischen Justage, erstmals in den komplexen
optischen Aufbau integrieren. Mannstein drehte vorsichtig den Spannungsregler nach rechts. Ein dumpfes Summen ertönte. Beide Wissenschaftler starrten gebannt auf den optischen Aufbau in der Mitte des
Labors. Der rote Führungs-Laserstrahl wurde mannigfaltig von den Spiegeln und Linsen gebrochen und umgelenkt und zeichnete seltsame flirrende ästhetische Lichtbrechungen in den Raum hinein. Dann ging
alles sehr schnell: In einer Aufweitungslinse in der Mitte des optischen Aufbaus, deren Aufgabe es war, den eingeschnürten Laserstrahl auf etwa 10 Zentimeter zu weiten, begann sich etwas zu bewegen.
Es war schwer auszumachen, um was es sich handelte. Stumm deutete Michael Mannstein auf die Linse und blickte seinen Freund fragend an. Der schüttelte ebenso stumm den Kopf. Keine Ahnung, sollte das
heißen. In diesem Augenblick flog die Linse mit einem lauten Knall vom Labortisch. An ihrer Stelle breitete sich eine weißliche schlierige Schicht aus, ähnlich der flirrenden Luft über einer
aufgeheizten Straße im Hochsommer. In kaum mehr als einer Sekunde hatte die schlierige Schicht das gesamte Labor eingenommen. Brauner und Mannstein bemerkten, dass alles um sie herum formlos wurde.
Amorph, wie Brauner es später immer nannte. Jegliche Kontur verschwamm, es wirkte beinahe so, als würden die Gegenstände im Labor ineinander fließen. Der Schrank mit den beiden Lasern floss munter in
den Generator für die Wasserkühlung des Excimer-Lasers. Die Bank mit den Oszilloskopen vereinte sich gerade mit dem Labortisch. Und Mannstein floss mit dem Monitor des Computers zusammen, während das
Oszilloskop eine seltsame Liason mit dem Waschbecken einging. Es war gespenstisch.
Dann kamen die Wesen. Drei oder vier seltsam verformte Gestalten, es war nicht genau auszumachen, wie viele, tauchten plötzlich aus dem Nebel auf und begannen, in
ihrer seltsamen Form kaum als Mensch auszumachen, eher als Wasserwesen ohne echte Körperlichkeit, das Labor zu untersuchen. Zumindest wirkte es auf Klaus Brauner und Michael Mannstein so. Klaus
Brauner nahm all seinen Mut zusammen und versuchte eines der Wesen anzufassen, doch das war nicht möglich. Er griff durch die amorphe Gestalt hindurch ins Leere, er fasste einfach durch Luft. Hastig
zog er sich mit Michael Mannstein in den hinteren Laborbereich zurück und wartete ab, was weiter geschah. Mit der gleichen Geschwindigkeit wie er begonnen hatte, war der ganze Spuk plötzlich vorbei.
Die amorphen Wesen verschwanden und alles sah genauso aus, wie es vor dem Knall war. Beide sahen sich an. Mannstein bemerkte es zuerst: Die Farben waren intensiver als vorher. Das ganze Labor wirkte,
als habe jemand in Photoshop die Regler etwas zu weit ins poppige geschoben. Auch Klaus Brauner war irgendwie bunter geworden. Dann begann das Pochen. Eigentlich war es kein Pochen, aber es ließ sich
am besten beschreiben mit dem Begriff Pochen: Ein rhythmisches Pulsieren der Luftmoleküle, gepaart mit einem sehr dumpfen Ton. Brauner murmelte: „Michael, hörst du das auch?“ „Ja klar“, antwortete
Mannstein, „aber ich weiß nicht, was ich davon halten soll.“ „Könnte sein, dass wir gerade an eine Tür geklopft haben.“ Brauner sagte das Wort Tür mit einem merkwürdigen Unterton, der Mannstein nicht
entging und erst recht nicht gefiel.
..........(Mittelteil fehlt)
Das alles schoss Klaus Brauner durch den Kopf, als er auf seine S-Bahn in Richtung Prenzlauer Berg wartete. Für ihn war die Quantenwelt eine faszinierende Welt, die
völlig neue Möglichkeiten bot. So konnte man, wenn man den Drehmoment der Teilchen, Spin genannt, als Informations-Speicher benutzte, Quantencomputer bauen. Deren Rechenleistung wäre dann
millionenfach schneller, als die Leistung herkömmlicher Computer, denn sie konnten ja Millionen Rechenoperationen gleichzeitig durchführen und nicht nacheinander, wie heute noch üblich. Er schreckte
aus seinen Gedanken auf. Gleichzeitig - das Wort schien sich in seine Hirnrinde schmerzhaft einzubrennen. Gleichzeitig! Ihm stockte der Atem, denn jetzt erst begriff er die Situation. Denn
gleichzeitig waren auch all die Parallelwelten, die wir Menschen nicht wahrnehmen können, die aber trotzdem existieren. Normalerweise berühren sich diese Parallelwelten nicht, sie existieren parallel
nebeneinander. Aber es gibt Momente, da öffnen sich quantenmechanische Tore und dann können die Bewohner der parallelen Welten zwischen den Welten hinüber wechseln. Genau das war damals 1999 im
Forschungslabor in Köln erstmals geschehen. Mit dramatischen Folgen. Klaus Brauner dachte an die Email, sah noch einmal die fünf Worte in der altmodischen Courierschrift auf dem Monitor seines
Laptops. „Es ist Zeit für Whistas!“ Genau diese fünf Worte waren der geheime Code zwischen ihm und Michael Mannstein für einen dringenden Hilferuf: Wer eine Nachricht mit diesem Code an den anderen
verschickt, brauchte dringend Hilfe, weil sich wieder ein Angriff aus Whistas - so hatten sie die Parallelwelt damals genannt - anbahnte. So hatten die beiden es damals vereinbart und das galt bis
heute. Schlagartig wurde ihm klar, dass Michael Mannstein mit ziemlicher Sicherheit in größter Gefahr schwebte. Er musste ihm helfen und zwar sofort. Er musste nach Köln! Klaus Brauner hatte sich
entschieden. Seine große Liebe Diana Korte und die Wohnung in Prenzlauer Berg mussten warten. Sein alter Freund Michael Mannstein brauchte Hilfe! Und zwar sofort.